Eine gemeinsame Erklärung für ein digitales Verkehrsmanagementsystem am Brennerkorridor ist das Ergebnis des ersten Treffens von Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, Tirols Landeshauptmann Anton Mattle und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am heutigen Mittwoch (12. April) in der Festung Kufstein. "Wir freuen uns auf eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Tirol, Südtirol und Bayern. Mit dem intelligenten, digitalen Verkehrsmanagement haben wir einen gemeinsamen Standpunkt – nun sind die Nationalstaaten gefordert", sind sich die Regierungschefs einig.
Weniger Staus, mehr Verkehrs- und Versorgungssicherheit für Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und die Bevölkerung, weniger Zeitverzögerungen, bessere Planbarkeit im Sinne des freien Warenverkehrs und aufgrund von geringerem "Stop-and-Go"-Verkehr auch weniger Lärm-, Luftschadstoff- und Klimagasemissionen – das alles soll ein intelligentes, digitales Verkehrsmanagementsystem bringen. Geplant ist, dass eine bestimmte Zahl an LKW zu bereits vorab gebuchten Zeitfenstern (Slots) den Brennerkorridor passieren dürfen. Die Landeshauptleute aus Südtirol und Tirol sowie Bayerns Ministerpräsident haben sich auf eine 14 Punkte umfassende Erklärung zur Realisierung eines solchen Verkehrsmanagementsystems geeinigt.
Die heutige Erklärung zur Einführung des Verkehrsmanagement-Systems mit buchbaren Slots fußt auf einer im Auftrag von Südtirol durchgeführten Machbarkeitsstudie. Dazu unterstreicht Landeshauptmann Arno Kompatscher: "Durch die Prüfung der rechtlichen und technischen Machbarkeit eines digitalen grenzüberschreitenden Verkehrsmanagements wollten wir unseren Beitrag leisten, um einen Lösungsweg aufzuzeigen, welcher die Situation für die Bevölkerung, die Umwelt und auch für die Wirtschaftstreibenden verbessern kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Entscheidungsträger entlang des Brennerkorridors an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dies ist der dringendste Apell, den wir heute aussenden möchten. Auch zwischen Bayern, Tirol und Südtirol waren wir nicht stets einer Meinung, aber in vertrauensvoller Zusammenarbeit konnten wir uns auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Deshalb hoffen wir nun auf die Bereitschaft der staatlichen Ministerien, Verhandlungen über eine gemeinsame grenzüberschreitende Korridorpolitik zu führen. Der Brenner Basistunnel zeigt eindrücklich auf, welche Errungenschaften möglich sind, wenn Mitgliedsstaaten und die Europäische Union an einem Strang ziehen."
Ziel: Erste Gespräche mit Rom, Berlin, Wien innerhalb Juni
Das heute in Kufstein verabschiedete Positionspapier soll nun an die Nationalstaaten Österreich, Italien und Deutschland herangetragen werden. Wien, Rom und Berlin entscheiden über die Umsetzung auf Basis eines dafür notwendigen Staatsvertrags. Neben dem mittelfristig umsetzbaren Verkehrsmanagementsystem wird gemeinsam auch an kurzfristigen Maßnahmen wie einem verbesserten Datenaustausch gearbeitet. Der nächste Schritt ist ein Konzept zur technischen Umsetzung des Systems. Experten werden damit beauftragt und sie werden von Anfang an Entscheidungsträger in allen drei Ländern sowie Frächter und Wirtschaftstreibende mit einbeziehen. Anschließend geht es um die Ausarbeitung eines trilateralen Staatsvertrags zwischen Österreich, Italien und Deutschland, dem alle Staaten zustimmen müssen. Ziel ist es, noch im ersten Halbjahr 2023 die Gespräche auf nationalstaatlicher Ebene aufzunehmen.
"Das hohe Verkehrsaufkommen ist für die Menschen in unserem Land eine enorme Belastung. Deshalb ist der heutige Tag ein Meilenstein im Umgang mit dem Transitverkehr für Tirol, Südtirol und Bayern: Wir schlagen neue Töne an und arbeiten konstruktiv und gemeinsam an einer Lösung der Transitproblematik. Für uns hat der Schutz der Menschen entlang des gesamten Brennerkorridors oberste Priorität. Mit dem heutigen Vorstoß erhöhen wir den Druck gegenüber Wien, Berlin und Rom. Wir wollen eine Lenkungsmaßnahme, die die Kapazitätsgrenzen des Brennerkorridors berücksichtigt. Mehr Sicherheit für alle, mehr Gesundheitsschutz für die Bevölkerung und bessere Planbarkeit für den Gütertransport – all dem wird dieses System gerecht“, sagt Tirols Landeshauptmann Anton Mattle, der seine Amtskollegen aus Südtirol und Bayern nach Kufstein eingeladen hat. "Um die Verkehrswende zu schaffen, bleibt die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene unser oberstes Ziel“, sieht Mattle eine neue Art der Zusammenarbeit.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder betonte: "Wir machen ein smartes Angebot zur Besserung der Verkehrssituation auf der Brenner-Transitachse. Wir wollen dauerhafte Entlastung für die Anwohner und gleichzeitig den Erhalt des Güteraustauschs. Der Brenner steht sonst vor dem Kollaps. Unser Vorschlag: Ein digitales Verkehrsmanagement mit intelligenter Verkehrssteuerung. Durch kostenfreie Zeitfenster-Slots könnte der Lkw-Verkehr länderübergreifend besser fließen und die Autobahn nicht überlasten. Das ist eine moderne Alternative zu Blockabfertigung und Durchfahrtsverboten. Heute ist Startschuss zur Entwicklung dieses Systems. Nach langer Funkstille senden unsere Länder wieder gemeinsam. Jetzt müssen die Bundesregierungen handeln. Die zentrale Alpen-Verbindungsachse ist eine gesamteuropäische Aufgabe."
"Unsere Notmaßnahmen – die verschiedenen Verkehrsbeschränkungen - entlasten Straßen, Luft und Menschen in Tirol. Aber sie stellen unsere Nachbarn auch vor große Herausforderungen. Für Tirol ist klar, dass gemeinsame Lösungen jedenfalls wesentlich effizienter und nachhaltiger sind", sagt Landeshauptmann Mattle. Er ist überzeugt davon, dass durch das länderübergreifende Verkehrsmanagementsystem die Menschen entlang des gesamten Brennerkorridors entlastet werden. "Es braucht neue Maßnahmen, mit dem Ziel, die Bevölkerung zu schützen und Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Tirol ist offen für europäische, nachhaltige und gemeinsame Lösungen“, sagt der Tiroler Landeshauptmann.
Basis für Verkehrsleitsystem: Zusammenarbeit, Datenaustausch
Um auf das Verkehrsaufkommen möglichst rasch reagieren zu können, soll der Datenaustausch zwischen den österreichischen und deutschen Autobahnbetreibern sowie der Polizei verbessert werden. "Wir schlagen vor, dass der Datenaustausch zwischen Deutschland, Österreich und Italien am Brennerkorridor institutionalisiert wird. Nur dann kommen wir dem Ziel, eine gemeinsame Korridorpolitik zu betreiben, ein Stück weit näher" sagt Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider, der aufgrund eines Rom-Termins in Kufstein nicht dabei sein konnte.
Schienenverkehr muss so einfach werden wie Straßenverkehr
Dass langfristig kein Weg an der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene vorbeiführt, darin sind sich die Regierungschefs einig. Demnach wurden auch die Zulaufstrecken zum Brenner Basistunnel, die Korridormaut und die Harmonisierung des Schienenverkehrs diskutiert. Das Pilotprojekt "Brenner ohne Grenzen", das von der Tiroler EU-Abgeordneten Barbara Thaler initiiert und von ihren Kollegen Markus Ferber aus Bayern und Südtirols EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann unterstützt wurde, ist bereits ein klarer Auftrag für einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum: Der Schienenverkehr muss so einfach wie der Straßenverkehr funktionieren. Dafür braucht es den Abbau nationaler Regeln und Betriebsvorschriften. Dazu zählen für die drei Regierungschefs beispielsweise keine Bremstests beim Grenzübertritt oder eigens reservierte Slots für Güterzüge über den Brenner. "Um die Attraktivität und vor allem die Kapazität der Schiene zu erhöhen, gibt es bereits jetzt einiges an Potential auf der Bestandsstrecke. Wir setzen uns bei den zuständigen Infrastrukturbetreibern mit Nachdruck dafür ein, dass die Zeit bis zur Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels genutzt wird, um die Betriebsabläufe auf der Schiene grenzüberschreitend zu harmonisieren. Jegliche Harmonisierung, die nun angegangen wird, hilft, die zusätzlichen Kapazitäten des BBT möglichst effizient zu nutzen", sagt Südtirols Landeshauptmann Kompatscher.
LPA/red/uli/gst