Täglich passieren zahlreiche Menschen in Innsbruck die Michael-Gaismair-Straße im Stadtteil Wilten. Dass sich hinter dem Namen „Michael Gaismair“ eine für Tirol bedeutsame Geschichtspersönlichkeit verbirgt, ist vielen in diesem Moment nicht bewusst. Auch das Tiroler Landesarchiv – das Gedächtnis Tirols – befindet sich in der Michael-Gaismair-Straße. Hauptmann Michael Gaismair etablierte sich Anfang des 16. Jahrhunderts als Anführer im Tiroler Bauernaufstand. Der große deutsche Bauernkrieg erschütterte nicht nur Tirol, sondern auch den süd- und mitteldeutschen Raum – Bauern und Bergknappen wehrten sich gegen ihre damalige Unterdrückung. Dieses geschichtliche Ereignis vor 500 Jahren sowie Errungenschaften und Auswirkungen aus der Zeit Michael Gaismairs rückten in den Fokus einer Tagung in Innsbruck: Mit diesem Symposium, einschließlich einer Exkursion nach Sterzing (Südtirol), erinnerten das Land Tirol und die Universität Innsbruck an die Ereignisse in den Jahren 1525 und 1526. Die Veranstaltung beleuchtete die Hintergründe sowie die Bedeutung dieses historischen Aufstands, der bis heute nachwirkt. Unter anderem war es Michael Gaismair, der einen Entwurf für eine Utopie gebliebene Tiroler Landesordnung verfasste – für eine Gesellschaft ohne Privilegien und ohne Vorrechte des Standes. Michael Gaismair konnte seine Landesordnung nie durchsetzen. Die Bauern und Bürger jedoch, die in Innsbruck mit dem Landesfürsten Ferdinand verhandelten, konnten zahlreiche Beschwerden und Forderungen in die 1526 etablierte Landesordnung einbringen. Heute bildet die Tiroler Landesordnung neben der Bundesverfassung das Fundament des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Tirol.
Der für Landwirtschaft zuständige LHStvJosef Geisler betonte die bleibende Relevanz dieser historischen Ereignisse: „Michael Gaismair hat gezeigt, dass es selbst in unruhigen Zeiten möglich ist, einen Weg nach vorne zu finden. Er hat den Bauern nicht nur Mut gemacht, sondern ihnen auch eine Perspektive gegeben, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen könnte. Anstatt sich in Gewalt und Chaos zu verlieren, hat er ihnen eine Vision und Ordnung an die Hand gegeben, die über das bloße Kämpfen hinausging. Gaismair hat damit – trotz seines Scheiterns – etwas Dauerhaftes geschaffen, das auch heute noch Bedeutung hat: eine Vorstellung von Gemeinschaft und Zusammenhalt, bei der das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht. Sein Einsatz für die Rechte der Bauern und die Grundprinzipien von Gleichheit und Solidarität prägen das Tiroler Selbstverständnis bis heute. Diese Werte und dieser Sinn für Gerechtigkeit sind fest in unserer Geschichte verwurzelt – sie erinnern uns daran, wie stark der Zusammenhalt einer Gemeinschaft sein kann. Die Tagung zeigt eindrücklich, dass das Engagement für eine gerechte Ordnung ein Teil unseres historischen Erbes ist und auch bleiben sollte.“
Tagung zu Michael Gaismair
Die Diskussionsbeiträge befassten sich unter anderem mit dem Vergleich Michael Gaismairs mit Andreas Hofer, Gaismairs literarischer Präsenz – von Franz Kranewitter bis hin zu Felix Mitterer – sowie zu Dynamiken des damaligen Tiroler Bauernaufstandes.
„Michael Gaismair ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der frühneuzeitlichen Bauernkriege und seine Tiroler Landesordnung zählt zu den großen Denkgebäuden einer staatlichen Ordnung; manches war vielleicht nur als Utopie gedacht, anderes wies weit in die Zukunft, einiges besitzt auch heute noch Relevanz“, sagt Landesarchivdirektor Christoph Haidacher. Unruhen und Aufständen der Bauern habe Gaismair Führung und Vision gegeben und dem bloßen Plündern und Morden eine staatspolitische Idee entgegengesetzt. „Der Tiroler Bauernaufstand fand in Michael Gaismair jenen befähigten Anführer, der aus einer Horde plündernder Bauern eine sozialrevolutionäre Bewegung mit zukunftsweisenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen formte.“
„Michael Gaismairs Landesordnung, für welchen Zweck er sie auch immer geschrieben hat, ist ideengeschichtlich ohne Zweifel von erheblicher Bedeutung. Vertreter des historischen Materialismus erklärten Gaismair zu einem herausragenden Exponenten der ‚frühbürgerlichen Revolution‘, für so manchen modernen Autor ist er ein Repräsentant einer vormodernen Demokratie. Neben Gaismairs Landesordnung dürfen aber auch die Verhandlungsergebnisse des Bauernlandtags vom Juni und Juli 1525 nicht vergessen werden. Denn sie waren realpolitisch wesentlich bedeutender als Gaismairs schriftliche Hinterlassenschaft. Der daraus resultierende Landtagsabschied fand Eingang in die Tiroler Landesordnung und brachte doch einige Verbesserungen für die Bauern und Bürger Tirols“, erläutert Robert Rebitsch vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck.
Gaismair’sche Landesordnung
Seine Landesordnung stellt einen gesellschaftspolitischen Verfassungsentwurf, der eine radikale Umgestaltung Tirols mit sozialer Gerechtigkeit und bürgerlichen Freiheiten vorsah. Die Forderungen reichten von der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, der Abschaffung des Adels und kirchlicher Herrschaftsrechte, der Verstaatlichung von Ressourcen wie den Bergwerken bis hin zur Einführung eines umfassenden Sozialsystems zur Unterstützung der Armen.
Über das Leben und den Einfluss Gaismairs
Michael Gaismair wurde um 1490 in Tschöfs (Südtirol) als Sohn eines Bauern geboren, der auch im Bergbau tätig und Sterzinger Bürger war. Die materiellen Verhältnisse seiner Familie ermöglichten dem begabten Knaben eine gründliche Schulausbildung. Im Dienst des Landeshauptmannes an der Etsch und Söldnerführers Leonhard von Völs eignete er sich militärische Fähigkeiten sowie die Kenntnis der italienischen Sprache an. Auf dessen Empfehlung hin stellte ihn der Brixner Bischof Sebastian Sprenz als Sekretär an, wodurch er mit den lokalen Verhältnissen sehr gut vertraut wurde. Zugleich besaß er Kenntnis von den Ideen Martin Luthers und Ulrich Zwinglis sowie den um sich greifenden Bauernunruhen im römisch-deutschen Reich. Nach der Niederlage der bäuerlichen Aufgebote musste er in die Republik Venedig fliehen. Am 15. April 1532 fiel der Tiroler Bauernführer in Padua einem Mordanschlag zum Opfer.
Land Tirol/Abteilung Öffentlichkeitsarbeit